Europa
Im Unterschied zu den meisten Museen für Völkerkunde in Deutschland besitzt das Lübecker Museum seit seinen Anfängen eine europäische Sammlung. Objekte aus dem Norden Europas gehören aufgrund der langen Handelsbeziehungen Lübecks zu dieser Region zu den frühesten Stücken. Richard Karutz intensivierte Ende des 19. Jahrhunderts das Sammeln von europäischen - auch deutschen - Objekten, weil er von der unlösbaren Einheit von Völkerkunde und Volkskunde überzeugt war. Gesammelt wurden Objekte, die altertümliche Vorstellungen und Gebräuche darstellten und einfach in der Form waren. Karutz hat Gegenstände aus Europa nicht nur von anderen als Geschenk angenommen oder angekauft, sondern sie immer wieder auf eigenen Reisen zusammengetragen.
Im Sommer 1897 unternahm er seine erste Sammel- und Forschungsreise, die ihn in das Baskenland führte. 1918 reiste er für zwei Monate nach Estland und legte eine eindrucksvolle Sammlung für das Museum an. Bemerkenswert ist zudem eine sehr umfangreiche, hauptsächlich aus Südtirol stammende Sammlung, die Richard Karutz von dem Lehrer und Sammler Karl Wohlgemuth (1867-1933) 1906 erwarb und dem Museum schenkte. Wohlgemut ist bekannt dafür, dass er hauptsächlich aus dem Puster- und Eisacktal volkskundliche Objekte sammelte, die einen künstlerischen Wert hatten.
Kultur- und stadtgeschichtlich von großer Bedeutung ist eine größere jüdische Sammlung aus verschiedensten Ländern, die Julius Carlebach 1931/32 für die Einrichtung einer Dauerausstellung zusammengetragen hat. Joseph Hirsch Zwi (Julius), der am 18. Juli 1909 als Sohn des Bankiers Alexander Carlebach und seiner aus Moskau stammenden Frau Sonja Persitz in Lübeck geboren wurde, gehört zu einer der berühmtesten orthodoxen jüdischen Familien in Deutschland. Als Jugendlicher durch das Museum für Völkerkunde in Lübeck angeregt, entwickelte Julius Carlebach eine Begeisterung für Ethnographica, mit deren Handel er sein Studium der Kunstgeschichte und Völkerkunde in Hamburg bestritt. Als er 1932 im Lübecker Museum für Völkerkunde eine jüdische Abteilung einrichtete, beschrieb er sein Konzept als das einer Mischung aus volks- und völkerkundlichen Aspekten. Die Sammlung sollte keine Merkwürdigkeiten oder besonders seltene Objekte zeigen, sondern in der Reihe gleicher Abteilungen über andere Kulturen und Völker einen Überblick bieten über Geräte, die zur Ausübung des jüdischen Kultus im Haus und in der Synagoge nötig sind. Der nichtjüdische Besucher sollte sich über den jüdischen Kult und die Feste informieren können. Carlebach betonte immer wieder, dass er im jüdischen Interesse handelte. Sein erklärtes Ziel war, alle jüdischen Bräuche im Museum zu erklären, um dem Antisemitismus zu begegnen.
In den letzten Jahren konnte durch gezielten Ankauf einer kleinen Sammlung rezenter rumänischer Masken die europäische Sammlung bereichert werden; sie umfasst gegenwärtig 2.300 Objekte.