"Vom Ruheort zum Coffin Dance " - Bestattungskulturen in aller Welt
Der Tod war seit jeher ein Motor menschlicher Entwicklung. Er hat Wissenschaft und Kunst gleichermaßen beflügelt. Unser Verhältnis bleibt jedoch zwiespältig. So erleben wir derzeit einen Boom neuer Bestattungsformen wie Friedwälder oder urbane Kolumbarien und wir stehen vor der Herausforderung, den diversen Glaubensformen unserer migrantischen Gesellschaft gerecht zu werden. Allerdings wird auch eine zunehmende Tabuisierung und Verdrängung des Todes aus dem öffentlichen Bewusstsein kritisiert.
Die Ausstellung der Sammlung Kulturen der Welt (vormals Völkerkundesammlung) in der Geschichtswerkstatt Herrenwyk gibt einerseits Einblicke in alte Traditionen und neue Trends der deutschen Bestattungsindustrie. Andererseits veranschaulichen archäologische, historische und moderne Exponate aus der Südsee, Asien, Lateinamerika und Afrika alternative spirituelle und teils auch humorvolle Umgangsformen mit dem Tod. Begleitet von einem reichhaltigen Veranstaltungsprogramm an verschiedenen Orten in der Stadt soll die Ausstellung dazu beitragen, die in unserer Gesellschaft wachsende Tabuisierung des Themas Tod zu überwinden.
Figuren dieser Art dienten als Grabschmuck und zur Verehrung von Königen. Die Figuren sind in einer für die Kongoregion typischen Haltung einer nachdenklichen und trauernden Person dargestellt, wobei hier die verstorbenen Herrscher um ihr Volk trauern, das fortan ohne sie auskommen muss.
Blicke ins Jenseits
Die Frage, was uns nach dem Ableben erwartet, beschäftigt die Menschheit seit jeher. Häufig wird das Jenseits mit den Taten der Verstorbenen zu Lebzeiten verknüpft. Bereits in altägyptischer Zeit gab es die Vorstellung, dass die Seelen der Verstorbenen im Jenseits gewogen werden. Entgegen der allgemeinen Vorstellung gelangen auch im Christentum Verstorbene nicht direkt ins Jenseits, sondern warten erst auf den Tag des Jüngsten Gerichts. Neben Himmel und Hölle soll das Fegefeuer als Ort zeitweiliger Bestrafung und Reinigung der Seelen existieren. Auch ungetaufte Kinder würden demnach ins Fegefeuer gelangen. Die Katholische Kirche prüft aktuell, ob diese Überzeugung noch zeitgemäß ist. Im Judentum und Islam gibt es hingegen keine Vorstellung einer Hölle. Im Buddhismus und Hinduismus ist das Jenseits ohnehin nicht das Ziel, sondern nur ein temporärer Aufenthaltsort bis zur nächsten Wiedergeburt, der mithilfe von Opfergaben und Gebeten der Hinterbliebenen erträglicher gemacht oder schneller wieder verlassen werden kann.
Wenn es überhaupt als physischer Ort verstanden wird, ist das Jenseits in den verschiedenen Kulturen ein abgelegener Ort im Himmel, in der Erde, unter Wasser oder hinter dem Meer. Häufig gibt es Wächter oder Fährmänner, die den Zugang regulieren und Bezahlungen fordern. Ebenso können Tiere als Führer ins Jenseits dienen.
Sogenannte „Höllendarstellungen“ sind feste Bestandteile des chinesischen Volksglaubens. Auf dieser Darstellung sind unterhalb des Richtertisches Gerichtsschergen zu sehen. Die vor dem Tisch abgebildete Szene zeigt Sünder vor einem Spiegel, der ihnen ihre Untaten offenbart. Um die Bildmitte herum sind zahllose einzelne Qualen abgebildet, auf die sich die Sünder:innen einstellen müssen, um wiedergeboren zu werden. Inwiefern das hier gezeigte Bild vielleicht auch von christlichem Gedankengut beeinflusst wurde, gilt es noch zu erforschen.
Auch gibt es Vorstellungen verschiedener Jenseitswelten. Das Weltbild der Maya umfasste 9 Unterwelten und 13 Himmelsschichten. Bei den Azteken war weniger das Leben, sondern die Todesart entscheidend dafür, wohin die Toten gehen. Getöteten Kriegern und im Kindbett verstorbenen Müttern war die größte Ehre gewiss, die Sonne auf ihrem Weg über den Himmel zu begleiten. Aber auch Ertrunkene oder an bestimmten Krankheiten Verstorbene hatten die Aussicht auf ein gutes Leben im Blumenparadies des Regengottes Tlaloc. Teile der aztekischen Jenseitsvorstellungen haben bis heute in Gestalt des mexikanischen Totenfestes oder der Verehrung der „Santa Muerte“ überdauert.
Figuren zum mexikanischen Totentag, Mexiko, Ende 20. Jh.
Gips, Draht, Papier, Farbe
Aus der Vermischung aztekischer und katholischer Traditionen hat sich das mexikanische Totenfest „Día de los Muertos“ entwickelt, das vom 31. Oktober (Allerheiligen) bis 2. November (Allerseelen) gefeiert wird.
In Erwartung der Rückkehr der Totenseelen gehen die Angehörigen auf den Friedhof, schmücken die Gräber, stellen die Lieblingsspeisen der Verstorbenen bereit, singen, feiern und tanzen.
Ebenso werden Hausaltäre mit Bildern der Verstorbenen und Opfergaben errichtet und die Häuser mit allerlei Darstellungen des Todes geschmückt.
Besondere Berühmtheit hat die Figur „Catrina“ erlangt. Sie ist eine junge, schöne und reiche Frau.
In ihrer Skelettgestalt erinnert sie uns daran, dass wir letztlich alle sterben müssen. Eine ähnliche Botschaft vermittelt auch der Lübecker Totentanz.
Bereits in vorkolonialer Zeit existierten Skelettdarstellungen in der aztekischen Kunst.
Als nach der spanischen Invasion europäische Seuchen die Bevölkerung dezimierten, entstand ein neuer Kult um den häufig als Skelett dargestellten katholischen Heiligen Pascual Baylón.
Einige Kulturen stellen sich das Jenseits eher vage als einen neutralen Ort vor, ein Spiegelbild unserer Lebenswelt, in dem man weiterhin arbeiten muss, aber zumindest ohne Krankheit und Hunger lebt. Andere glauben, dass die Toten auch im Jenseits noch auf Opfergaben angewiesen sind. Häufig gibt es aber keine klare Trennung von Diesseits und Jenseits. So können erst kürzlich Verstorbene als Totengeister noch in der Welt der Lebenden verweilen. Sich ihrer Kräfte zu bedienen oder sie ins Jenseits zu verabschieden ist das Ziel vieler Rituale. Ebenso können die Ahnen aus dem Jenseits noch Einfluss auf ihre Nachfahren nehmen und gutes oder schlechtes Verhalten, z.B. durch reiche Ernten belohnen oder durch Naturkatastrophen bestrafen. Rund um den Erdball ist daher eine enorme Fülle an Ritualen und Objekten für die Verehrung von Ahnen und die Kommunikation mit den Jenseitswelten entstanden
Auf einem Grabkreuz auf dem „Fröhlichen Friedhof“ in Săpânța (Rumänien) bittet ein Schwiegersohn in Gedichtform darum, dass seine dort beigesetzte Schwiegermutter nicht gestört werden soll, damit sie nicht aufersteht und ihn erneut niedermacht.
Übergang
Der Tod ist ein universelles Menschheitsthema. Oft gefürchtet und tabuisiert, kann er auch ein Motor kultureller Entwicklung sein. Von den ägyptischen Pyramiden bis zum indischen Taj Mahal zeugen zahlreiche Grabbauten von Weltrang vom immer gleichen Wunsch, etwas Bleibendes zu erschaffen, das über unsere kurze biologische Lebensdauer hinausreicht. So sind auch die ältesten in unserer norddeutschen Landschaft noch erhaltenen Zeugnisse menschlichen Schaffens Grabhügel und Großsteingräber. Sie konnten nur durch die Zusammenarbeit von Gemeinschaften errichtet werden und dienten oft Jahrhunderte lang als Bestattungsorte, an denen sicherlich auch wichtige Rituale stattfanden, mit denen sich die Menschen ihrer gemeinschaftlichen Geschichte und Identität versicherten.
Der Poulnabrone-Dolmen in Irland ist nur ein Beispiel für die weite Verbreitung megalithischer Grabbauten im neolithischen Europa.
Auf der Suche nach einem tieferen Sinn werden nicht nur der individuelle Todesfall, sondern auch große Katastrophen bisweilen nachträglich als göttlicher Wille oder Grundlage für eine bessere Zukunft interpretiert. In vielen traditionellen Gesellschaften ist der Tod ohnehin kein absolutes Ende, sondern nur der Übergang in einen neuen Daseinszustand. Die in diesem Raum zu hörenden Texte aus dem Tibetischen Totenbuch werden Sterbenden vorgelesen, um ihnen den Weg durchs Jenseits zu einer schnellen Wiedergeburt zu erleichtern.
Die Göttin Kali stiftet an der Seite ihres Ehemannes Shiva Unheil und Tod. Gemeinsam gelten sie aber auch als Elternpaar des Universums. Dies ist im zyklischen Denken hinduistischer Glaubensgemeinschaften kein Widerspruch, sind Tod und Zerstörung doch stets mit einer Erneuerung oder Hoffnung auf eine bessere Welt verbunden.
Aus Sicht der Ethnologie sind Bestattungen also Übergangsrituale, die der Trauerbewältigung dienen, aber auch (genau wie eine Konfirmation oder Hochzeit) den Verstorbenen eine neue gesellschaftliche Rolle zuweisen. Bei den Toraja in Indonesien etwa gilt eine verstorbene Person nur als „krank“. Sie verbleibt in ihrem Sarg im Haus und wird von der Familie durch Essensgaben und Gespräche in das tägliche Leben eingebunden. Den Status eines Toten erlangt sie erst, wenn die Hinterbliebenen bereit sind loszulassen, wenn sich alle Familienangehörigen aus dem In- und Ausland versammelt haben und eine mehrtägige Bestattungsfeier finanziert werden kann. Doch selbst dann bleiben die Verstorbenen noch Teil der Gesellschaft, indem sie aus dem Jenseits über das Wohl ihrer Nachkommen wachen.
Auszüge aus dem Tibetischen Totenbuch
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Genau wie in anderen Weltgegenden war der Tod im ländlichen Norddeutschland noch vor wenigen Generationen ein fester Bestandteil des Lebens. Verstorbene wurden öffentlich aufgebahrt und Kinder kannten weniger Berührungsängste mit dem Thema. Die moderne Medizin mit ihren Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen hat das Sterben jedoch aus unserem Alltag verbannt. Manche Fachleute sprechen von einer zunehmenden Tabuisierung des Todes. Gleichzeitig ist in unserem Bestattungsgewerbe in den letzten Jahrzehnten aber auch eine Diversifizierung an Angeboten und Möglichkeiten zu beobachten.
6 Fragen an einen Bestatter...
Viele Menschen haben nur eine vage Vorstellung von Ihrer Berufswelt. Mögen Sie ein bisschen aus Ihrem Arbeitsalltag erzählen?
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Gab es auch außergewöhnliche Beisetzungen und Trauerfeiern?
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Wie schaffen Sie den Balanceakt zwischen der Zuwendung zur Kundschaft und der eigenen Abgrenzung? Ist der Beruf des Bestatters humorvoll?
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Was gibt es in der Bestattungsbranche für neue Trends und Technologien?
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Haben Sie selbst Reformwünsche an die Welt der Bestattungen?
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Der Vorwerker Friedhof, Lübeck
Lübecks Friedhöfe sind mehr als Ruhestätten – sie sind grüne Oasen der Erinnerung und des Lebens. Vom historischen Burgtorfriedhof bis zum weitläufigen Vorwerker Friedhof spiegeln sie Jahrhunderte hanseatischer Geschichte wider. Diese Orte laden zum Gedenken, aber auch zum Verweilen in parkähnlichen Landschaften ein. Entdecken Sie die Vielfalt der Bestattungskultur und die beeindruckende Gartenkunst auf Lübecks Friedhöfen
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Der Vorwerker Friedhof in Lübeck, einst als parkähnliche Anlage in Form eines Schmetterlings konzipiert, durchläuft aktuell einen bedeutenden Wandel. Aufgrund des rückläufigen Interesses an traditionellen Erdbestattungen und der zunehmenden Beliebtheit von platzsparenden Urnenbeisetzungen wird die Friedhofsfläche um etwa ein Viertel reduziert. Diese Verkleinerung spiegelt den gesellschaftlichen Trend zu kompakteren Bestattungsformen wider.